Verbindliche Lektüreempfehlung IV

„Der Weltgeist hat ein neues Wirtschaftssystem inthronisiert, das seinem Wesen nach völlig unidealistisch ist und sich Kapitalismus nennt. Dieses System verlangt auch von mir, dessen Berufsbezeichnung „Künstler“ lautet, „proaktive“ schnödeste Gewinnerzielungsabsicht. Sollte ich mit meiner Tätigkeit 5 Jahre lang keinen Gewinn erzielen (die Zeitspanne variiert von Finanzamt zu Finanzamt), wird, so belehren mich die Steuereintreiber, meine Tätigkeit als Liebhabereri eingestuft. Die Konsequenz ist, dass ich meine Arbeitsräume und Materialien nicht mehr steuerlich absetzen kann und meine Situation prekärer wird. Für einen idealistischen Künstler kommt das einem Berufsverbot gleich.“

Tief geordnetes Chaos

„Deeply ordered chaos“, so beschrieb Francis Bacon seine Kunst (nicht nur sein Atelier). Saul Bellow nannte die Kunst „das Erreichen der Stille inmitten des Chaos“. Henry Miller nannte das Chaos „die Partitur, auf der die Wirklichkeit geschrieben steht“. Und für Paul Cezanne bedeutete kreativ zu sein, in einem „Regenbogen des Chaos“ zu leben. Geht es für Kreative also immer um die Frage: „Wie organisiert man das Chaos?“ Via The Psychologist

Verschärfte Planetenrelevanz

In den letzten 3 coronageprägten Semestern hat BA mit Prof. Silke Juchter und Studierenden der Muthesius Kunsthochschule Kiel drei Magazine und eine Ausstellung gestaltet und organisiert. Die Studierenden haben sich auf die Suche nach dem wirklich Wichtigen in dieser Zeit, nach Gemeinwohltäter:innen, nach konkreten Utopien gemacht. Sie haben Interviews mit Personen geführt, die sie für planeten-relevant erachten (und dabei mit Interviewformaten experimentiert – von Anamnese bis Straßenumfrage, von Selbstgespräch bis Experteninterview).

Herausgekommen sind u.a. einige erstaunliche Interview-Hefte. Darin berichten u.a.: Teenager über ihre von Corona brutal attackierte mentale Gesundheit; Arturo (ursprünglich aus Armenien), Saleh (aus Syrien) und Irene (aus Kasachstan) über ihre Heimatgefühle; eine Professorin für Städtebau über progressive Provinz oder die ungemütliche Lara über Wald-Aktivismus. Schließlich nähern sich drei Todes-Erfahrene der Frage: Kann man sich aufs Sterben vorbereiten, wenn man jung ist?

Hier kann man die Magazine und alle einzelnen Hefte/Artikel sehen und lesen.

Breughel erriechen

Das Madrider Supermuseum Prado hat eine sinnliche Superidee: Es kreiert eine Geruchspalette, mit der man ein Gemälde von Brueghel erschnuppern kann. Der italienische Kardinal Federico Borromeo war im 17. Jahrhundert von den Werken Jan Brueghels des Älteren so beeindruckt, dass er dem Künstler schrieb und schwärmte, er könne den Frühling selbst in den winzigen Blüten und Blättern riechen, die dem Pinsel des flämischen Meisters entströmten. Jetzt, vierhundert Jahre später, können auch alle mit einer weniger ausgeprägten olfaktorischen Vorstellungskraft ihre Nasenlöcher mit den Frühlingsdüften in Breughels Gemälde Der Geruchssinn von 1617-18 füllen. Via The Guardian.

Auf Kluge hören

„Ich glaube nicht, dass wir isoliert und als Einzelne arbeiten sollten. Sondern dass wir unsere Eigenständigkeit, also auch unsere Widerspruchsfähigkeit, unseren Eigensinn am besten verwirklichen, wenn wir im Dialog sind. Dialog hat nicht zur Folge, dass ich meine eigenen Ansichten verflache, sondern dass sie überhaupt erst hervorgerufen werden.“

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