Verbindliche Lektüreempfehlung IV

„Der Weltgeist hat ein neues Wirtschaftssystem inthronisiert, das seinem Wesen nach völlig unidealistisch ist und sich Kapitalismus nennt. Dieses System verlangt auch von mir, dessen Berufsbezeichnung „Künstler“ lautet, „proaktive“ schnödeste Gewinnerzielungsabsicht. Sollte ich mit meiner Tätigkeit 5 Jahre lang keinen Gewinn erzielen (die Zeitspanne variiert von Finanzamt zu Finanzamt), wird, so belehren mich die Steuereintreiber, meine Tätigkeit als Liebhabereri eingestuft. Die Konsequenz ist, dass ich meine Arbeitsräume und Materialien nicht mehr steuerlich absetzen kann und meine Situation prekärer wird. Für einen idealistischen Künstler kommt das einem Berufsverbot gleich.“

Verschärfte Planetenrelevanz

In den letzten 3 coronageprägten Semestern hat BA mit Prof. Silke Juchter und Studierenden der Muthesius Kunsthochschule Kiel drei Magazine und eine Ausstellung gestaltet und organisiert. Die Studierenden haben sich auf die Suche nach dem wirklich Wichtigen in dieser Zeit, nach Gemeinwohltäter:innen, nach konkreten Utopien gemacht. Sie haben Interviews mit Personen geführt, die sie für planeten-relevant erachten (und dabei mit Interviewformaten experimentiert – von Anamnese bis Straßenumfrage, von Selbstgespräch bis Experteninterview).

Herausgekommen sind u.a. einige erstaunliche Interview-Hefte. Darin berichten u.a.: Teenager über ihre von Corona brutal attackierte mentale Gesundheit; Arturo (ursprünglich aus Armenien), Saleh (aus Syrien) und Irene (aus Kasachstan) über ihre Heimatgefühle; eine Professorin für Städtebau über progressive Provinz oder die ungemütliche Lara über Wald-Aktivismus. Schließlich nähern sich drei Todes-Erfahrene der Frage: Kann man sich aufs Sterben vorbereiten, wenn man jung ist?

Hier kann man die Magazine und alle einzelnen Hefte/Artikel sehen und lesen.

Pause ist Pause, oder?

Aus den Untiefen des Homeofficeuniversums: Schon mal von Jeffrey Toobin gehört? Der CNN-Rechtsanalytiker und Autor für den New Yorker nahm über Zoom zusammen mit anderen Mitarbeiter*innen des Magazins an einer kreativen „Wahlsimulation“ teil. Eine New Yorker-Mitarbeiterin spielte dabei Donald Trump; Toobin spielte „die Gerichte“. In einer Arbeitspause wechselte Toobin ins sehr Private, zu einem zweiten, telefonsexartigen Videocall. Er entblößte sich und wurde autosexuell aktiv – Pause ist Pause –, allerdings gut sicht- und hörbar für die Teilnehmer seines ersten Videocalls. Er hatte geglaubt, seinen Video-Feed aus- und sein Audio auf „stumm“ geschaltet zu haben, wie er später so kleinlaut wie glaubwürdig erklärte. Zügig nach dieser Aktion wurde Toobin von seiner Position beim New Yorker und von seiner Rolle als Nachrichtenanalyst bei CNN suspendiert (inappropriate behaviour). Das und Schlimmeres kann passieren, wenn Wohnungen zu Arbeitgeberbüros werden, ständiges Überwachtsein der Normalfall ist – und akute Zoom-Drömeligkeit dazu kommt. Via TabletMag

So hätte es sein können, Anthony

Im Juli 2005 wird Anthony Walker bei einem rassistischen Angriff in einem Park in Liverpool ermordet. Er ist gerade 18. Inspiriert durch Gespräche mit Gee Walker, Anthonys Mutter, über den Jungen, der Anthony war, und den Mann, der er werden sollte, erzählt das BBC-Drama Anthony“ die Geschichte des Lebens, das er hätte leben können. Der Story-Clou dabei: Anthonys imaginiertes Leben wird in umgekehrter Chronologie erzählt. Wir treffen ihn, als er 25 ist, und arbeiten uns von dort rückwärts vor. Wir sehen, wie er seine Träume verwirklicht und das Leben genießt, bis zum Augenblick, als die Fiktion endet und die biografische Wahrheit uns voll trifft: Zwei von Hass besoffene Männer verfolgen ihn von einer Bushaltestelle aus in einen Park und erschlagen ihn dort mit einem Eispickel.
Jimmy McGovern, Autor von „Anthony“, erzählt, wie er auf die Idee kam:
„I’d been thinking about the First World War, about how the powers-that-be kept everybody fighting right up to the eleventh hour of the eleventh day of the eleventh month. Even though everyone knew the war was over they kept on fighting and between dawn and eleven o’clock on the eleventh day, thousands died. I would argue that every single death in the First World War was pointless but those that occurred on that final day were the most pointless of all.
I kept asking myself, “How many of those men who died that day would have achieved great things had they lived? Discovered a cure for a virus perhaps, written a great book, painted a beautiful picture?” That got me thinking about Anthony’s hopes and dreams. Had he lived, would he have achieved them? That question lies at the very heart of this drama.“
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