Tage des Übens

Peter Sloterdijk sagt: Der Mensch ist das Wesen, das auf sich selber einwirkt, an sich selber arbeitet, an sich selber Exempel statuiert; das sich in Askesen und Übungen selbst erschafft, formt, steigert. Die Geigerin Hillary Hahn ist ein ganz besonderes Übewesen. 2017 veröffentlichte sie ein Instagram-Video mit der Überschrift „#100daysofpractice“. Die Idee: Hundert Tage lang würde sie täglich ein Video von sich selbst beim Üben einstellen und anderen Musikern zeigen, wie sie sich auf Auftritte vorbereitet. An einem Tag spielte Hahn eine Reihe langsamer, präziser Doppelgriffe aus Robert Schumanns Klavierquartett, an einem anderen Tag die eher athletischen Parts aus Felix Mendelssohns Violinkonzert. Der hashtag löste eine Art Revolution aus: Innerhalb von drei Jahren entstanden Tausende von Instagram-Praxisberichten, in denen Musiker – von hochkarätigen Profis bis hin zu Mittelschülern – täglich Clips von sich selbst beim Üben veröffentlichen.
Eine neue Möglichkeit für Musiker, sich selbst über konsistentes, produktives Üben Rechenschaft abzulegen und Feedback von anderen Musikern zu erhalten. Das Üben, für Musiker traditionell eine total einsame Angelegenheit (einzige Gesellschaft: Metronom und Stimmgerät), ist nun zu einer eigenen Art der Aufführung und des Feedbackfestivals geworden. Via The New Yorker